Man kann nicht nicht kommunizieren – reloaded
Warum ein Gesprächsraum nicht allein der Interpretation überlassen werden sollte
Im Grunde können alle mitreden, wenn man über Kommunikation diskutiert. Allein schon die Tatsache, dass man mitredet, zeigt, dass man bereits kommuniziert. Kaum eine Aus- oder Weiterbildung, kaum ein Fachartikel oder Standartwerk, kaum ein Seminar oder Vortrag kommt ohne Paul Watzlawicks These „Man kann nicht nicht kommunizieren“ aus. Doch hat das in unserer heutigen Businesswelt überhaupt noch eine Relevanz? Und wenn ja, welche?
Ob Sender-Empfänger oder Vier-Ohren: Wer nicht nur kommuniziert, sondern sich mit Kommunikation als solches auch schon etwas näher auseinandergesetzt hat, kennt die berühmtesten Modelle. Paul Watzlawick spielt dabei ganz vorne mit. Sein Modell besagt, dass jedes Verhalten in einer zwischenmenschlichen Situation eine Form der Kommunikation ist. Es ist unmöglich, sich nicht zu verhalten und somit ist es auch unmöglich, nicht zu kommunizieren. Auch die Bedeutung des Schweigens kann je nach Kontext und Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern variieren.
Das bedeutet: Auch wer nichts sagt, sagt etwas. Testen Sie das doch mal aus: Ihr Partner fragt „Wie war dein Tag heute?“ Und Sie antworten – nichts. Sie schauen ihn einfach mehrere Sekunden lang an. Nicht, dass das eine deeskalierende Wirkung allfälliger kommunikativer Gewitter hätte. Vielmehr interpretiert das Gegenüber unweigerlich und sofort eine Botschaft. Diese kann sehr unterschiedlich sein und von „Das geht dich nichts an! Oder „Frag nicht, du weißt es genau!“ über „Es ist nicht in Worte zu fassen!“ bis hin zu „Sonst interessiert“s dich auch nie!“ reichen. Wie auch immer: die Gefahr vom Nichts-sagen ist, dass der andere frei interpretiert. Was nicht weiter schlimm sein dürfte, denn interpretiert wird in der Kommunikation ohnehin immer. Auch wenn man vielleicht einen guten Grund hat, nichts zu sagen…
Gerüchteküche oder versteckte Message
Das gilt im Business-Kontext auch. Beispielsweise an einem besagten Mittwoch, als Mitarbeiter X freigestellt wird. Jeder sieht, wie er heute das Haus verlässt. Eine Mitteilung zu diesem Ereignis folgt nicht. Die Gerüchteküche kocht heiß. Selbst wenn es eine schmale Meldung geben würde mit dem Inhalt „Mitarbeiter X wurde heute freigestellt“ kocht es nicht viel weniger im Hitzebereich. Vielleicht will man seitens der Firmenleitung oder Personalabteilung auch wirklich nichts dazu sagen – das kann seine Berechtigung haben. Dann eröffnet sich die Möglichkeit, das den Kollegen genau in dieser Form mitzuteilen: „Mitarbeiter X wurde per sofort freigestellt. Wir haben vereinbart, über die Gründe nicht zu reden.“ Da gibt“s wohl immer noch Gerüchte, aber auf jeden Fall kochen sie weniger über. Die versteckte Message „Das geht euch überhaupt nichts an!“ wird bedeutend weniger hineininterpretiert, so zeigt die Erfahrung.
Aktuelle Beispiele finden sich auch vornehmlich in der digitalen Kommunikation, besonders in sozialen Medien. Das Nicht-Reagieren auf eine Nachricht genau wie ein Beitrag, der nicht kommentiert oder geliked wird, kann vom Sender als Desinteresse, Zustimmung oder Ablehnung interpretiert werden. Was unterm Strich heraus kommt, hängt von der bestehenden Beziehung und dem Kontext ab. Ebenso kann die Entscheidung, online nicht präsent zu sein, von anderen als Aussage über persönliche Präferenzen oder als soziale Stellungnahme gewertet werden.
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Videokommunikation in der Arbeitswelt. Die Wahl des Hintergrunds, die Entscheidung, die Kamera ein- oder auszuschalten genau wie die Körpersprache während eines Videoanrufs kommunizieren allesamt Einstellungen und Gefühle, selbst wenn verbal nichts dazu gesagt wird.
Ein literarisches Beispiel ist Haruki Murakamis „Kafka am Strand“. Die Charaktere kommunizieren oft durch ihr Schweigen und ihre Handlungen mehr als durch Worte. Dieses Schweigen trägt zur Atmosphäre des Geheimnisvollen und Unerklärlichen bei, die das Buch durchzieht. Wer es etwas moderner mag und wem Kafka zu kafkaesk und damit etwas zu unergründlich ist, der kann sich auf Netflix einmal „Shaun das Schaf“ reinziehen. Einmal mehr zeigt sich hier, dass es bis heute unsere Fantasie anregt, wenn Figuren keine Worte wechseln…
Tipps
-Seien Sie sich bewusst: auch wenn Sie nicht aktiv kommunizieren, wird man Ihr Schweigen interpretieren.
-Kommunizieren Sie aktiv und klar und helfen so, dass Ihre Botschaft auch die Chance hat, möglichst unverfälscht anzukommen.
-Wenn Sie keine Informationen haben, ist nachfragen immer besser als eine Wahrheit zu erfinden oder etwas zusammen zu dichten.
Stefan Häseli ist Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor mehrerer Bücher. Er betreibt ein Trainingsunternehmen in der Schweiz. Der Kommunikationsexperte begleitet seit Jahren zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen.
Er doziert an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation. Als Experte nimmt er im Radio und TV-Stationen immer dann Stellung, wenn Kommunikation irgendwo auf der Welt gerade eine entscheidende Rolle spielt. Er begeistert in seinen Fachartikel und Kolumnen mit feinsinnigem Humor.
In seinen Vorträgen und Seminaren vermittelt er Wissen kurzweilig und gespickt mit Beispielen aus der Praxis sowie amüsanten Anekdoten – stets mit einem liebevollen Augenzwinkern. Als ausgebildeter Schauspieler mit jahrelanger Bühnenerfahrung schreibt er ganze Abendprogramme selbst. Dazu kommen Engagements in Kino-Filmen, TV-Serien, TV-Werbespots und Schulungsfilmen.
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